Alles was mit Körper und Bewegung zu tun hat finde ich faszinierend. Seit vielen Jahren bin ich ungesättigt beeindruckt und fasziniert vom Studium verschiedenster Bewegungstechniken, Körpertherapien und allen neuen Erkenntnissen und Strömungen auf diesem Gebiet. Seit meiner Tanzausbildung bin ich abgetaucht in die Blase der Bewegungsnerds, die vollgestopft ist mit Perlen körperorientierter Techniken – zur Heilung, zur Selbstfindung, zur Wiederentdeckung achtsamen Umgangs mit sich selbst oder einfach zur eigenen Freude und Ausgeglichenheit.
Überkreuz atmen
Neben dem Tanz (der irgendwie schon immer da war) und meinen schicksalhaften ersten Begegnungen mit dem Yoga kreuzten im Laufe der Jahre viele verschiedene Bewegungs-Schulen meinen Weg: Spiraldynamik, Cantienica, Contact Improvisation, Shiatsu, Feldenkrais und noch unzählige Andere. Ich habe überkreuz vom rechten inneren Kreuzbeinrand zum linken inneren Schambeinrand geatmet um meine Beckenbodenmuskulatur aufzuspannen. Ich habe die spiralig zusammenwirkenden Muskelstränge meines Fußes aktiviert um die Fußgewölbe und damit die ganzkörperliche Aus- und Aufrichtung zu unterstützen. Ich habe meine rechte Körperseite bewegt und die Übungen auf der linken Seite nur in meiner Vorstellung gespürt. Ich habe mit ständigem Körperkontakt zu Anderen getanzt oder den Boden und die Schwerkraft als den wichtigsten Tanzpartner überhaupt begriffen.
Total spannend finde ich in diesem Zusammenhang auch das, seit einigen Jahren zunehmende, wissenschaftliche Interesse an diesen Themen, die damit verbundenen Bestätigungen vieler überlieferter Erkenntnisse und die Kultivierung neuer Begrifflichkeiten, wie Embodiment oder auch (eine Zeit lang war es ja plötzlich das absolute Hypethema!) Faszien.
Unglaublich viel Zeit, Energie und Leidenschaft habe ich in dieses Studium gesteckt. Ohne Ende Bücher gelesen, in unzählig vielen Proberäumen, Yogastudios und Bewegungsräumen rumgehangen.
Über diese reine Freude, die ich im Tanz empfinden kann oder die klare Ruhe, die der Yoga in mir entstehen lässt, hinaus, ist der bewusste Umgang mit meinem Körper zu meiner Lebensphilosophie geworden. Immer wieder lande ich bei ihm. Für mich liegt hier ein Schlüssel. Der Zugang sowohl zu innerer Erkenntnis, als auch zu aktivem Handeln.
Manche Yogis mögen alles Körperliche abwerten und die Herrschaft über den Körper und seine Unzulänglichkeiten anstreben. Nur noch Geist sein. Manche Tänzer*innen sehen in ihm vor allem ein Werkzeug. Immer trainiert, immer voll funktionsbereit. Nicht für mich.
Für mich ist mein Körper mein Guru.
Und mein Haus. Durchlässig und anpassungsfähig an alle Widrigkeit und Klimaveränderungen. Ich kann zum Beispiel die Fenster öffnen. Dann verbindet sich die innere Atmosphäre mit dem äußeren Klima. Der Wind kann hinein wehen oder eine laue Sommerluft trägt Blumenduft hinein. Höre ich drinnen Musik, klingt sie, je nach Lautstärke, vielleicht sogar bis zur Nachbarin rüber. Lasse ich etwas auf dem Herd anbrennen, reiße ich die Fenster auf, um den Qualm heraus und frische Luft hinein zu lassen.
Also: ganz viel Innen kann raus, ganz viel von Außen kann rein.
Innen nach Außen:
Unser Inneres drückt sich aus durch unseren Körper. Unsere Gedanken, Glaubenssätze, Meinungen, die vorherrschenden Gefühle in uns, alle Erfahrungen die wir gemacht und auf eine bestimmte Art und Weise für uns verarbeitet haben, kurz, unsere ganze eigene spezielle Art die Welt zu sehen kreiert eine uns eigene innere Landschaft. Diese innere Färbung wirkt durch unseren Körper nach Außen. Sie manifestiert sich in unserer Körperhaltung und agiert sich aus über unsere individuelle Bewegungssprache. Über unseren Körper treten wir in Kontakt mit allem was außerhalb von uns ist und zeigen uns in unserer Individualität. Sei es auf große impulsive Art und Weise oder aber auch ganz unbewußt, durch kleinste Gesten, Mimik, einfach unsere ganz eigene Körpersprache.
In Kunstformen wie Tanz oder auch Schauspiel nutzen wir diesen Aspekt um unser Inneres auf künstlerischer Ebene mitzuteilen oder konkrete Inhalte auf abstrakt emotionaler Ebene zu vermitteln. Ganz besonders im Tanz, der ganz ohne Sprache auskommt. So transportieren wir Inhalte auf emotionaler, energetischer Ebene und schaffen so Atmosphären, in denen Raum für die individuellen, immer anderen Resonanzen der Zuschauer bleibt. Wir erzählen ohne zu erklären und lassen unser Gegenüber an uns teilhaben, ohne kognitiv einzuwirken.
Wechselwirkung Innen und Außen:
Unserer inneren Landschaft entsprechend reagieren wir, auch auf körperlicher Ebene, auf jeden Reiz, auf jeden Impuls von Außen. Das haben wir alle gemeinsam. WIE wir allerdings auf WAS reagieren, hängt davon ab, wie wir die Situation für uns interpretieren.
Es gibt natürlich ganz klare universell nachvollziehbare Reaktionen, die zum Beispiel dazu dienen uns zu schützen: Ist ganz fieses Wetter draußen, uns ist kalt, der Regen regnet hinten in die Jacke rein, ziehen wir fast alle ganz automatisch die Schultern hoch. Oder fliegt uns eine Taube ganz nah am Gesicht vorbei, zucken die meisten von uns, außer in wenigen Ausnahmen, zurück, oder weichen mit dem Kopf aus. Manchmal sogar wenn wir im Auto sitzen und die Taube höchstens das Dach schrammen würde…
Ob ich aber nach einem Streit die Zähne aufeinander beiße und meine Nackenmuskulatur zusammenzieht oder ob ich eher dazu neige meine Schultern hängen zu lassen und mein ganzer Körper insgesamt an Spannung verliert – das spiegelt meine ganz eigene Natur wieder. Machen wir einen Freudentanz bei der Einladung zu einem Fallschirmsprung oder spüren wir dabei einen Stein im Magen – das hängt mit unseren ganz eigenen inneren Bildern und unserem individuellen Blick auf die Welt zusammen, der sich aus unseren bisherigen Erfahrungen speist.
Meistens spielen sich diese Prozesse unbewusst ab. Es passiert ganz einfach. Scheinbar ohne unseren Einfluss. Ein Gedanke an den Zahnarzttermin nächste Woche – WUMM, Nacken verspannt. Unverschämten Busfahrer erwischt – Zähne knirschen aufeinander.
So bahnen sich Gefühle und innere Stimmungen wie Freude, Angst, Wut oder Unzufriedenheit über unseren Körper ihren Weg in die Welt. Wir erzählen von uns.
Jedes Gefühl, d.h. jede unbewusste Interpretation dieses Gefühls findet seinen Ausdruck in unserem Körper, manifestiert sich in unserer Körperhaltung. So wird unser Körper Ausdruck dessen, was wir sind. Gleichzeitig gibt er durch diese selbstgeschaffene Einzigartigkeit aber auch unsere Reaktionsmöglichkeiten in der Zukunft vor.
Selbsterkenntnis
Diesen Zusammenhang von inneren Prozessen und deren körperlichen Ausdruck können wir nutzen, um uns selbst zu erkennen. Anhand unserer automatisiert ablaufenden körperlichen Reaktionen können wir innere Zustände und Verbindungen erkennen, die uns vorher vielleicht gar nicht bewußt waren. Ich war z.B. total überrascht, als ich irgendwann mal bemerkte, dass ich, immer wenn ich ernsthaft über Geld nachdachte oder sprach, die Zähne aufeinander biss. Das Unbehagen, das sich dadurch in diesem Zusammenhang zeigte, war mir bis dahin nie wirklich richtig bewußt gewesen.
Von Außen nach Innen
Erst einmal können wir so unsere innere Welt erkennen, uns selbst kennen lernen. Danach können wir unter Umständen die untrennbare Verbindung zum Körper auch nutzen, um innere Veränderungen in Gang zu setzen. Genauso wie sich Zufriedenheit körperlich vielleicht in einem Lächeln ausdrückt, kann ein Lächeln evt auch die innere Reaktionskette von Zufriedenheit anstoßen. Kann eine aufgerichtete Haltung eher Zuversicht kreieren, als hängende Schultern. Kann ein Kopfstand auch die innere Landschaft auf den Kopf stellen oder ein bewußtes Loslassen der Muskulatur (wie z.B. in Savasana, der Schlußentspannung am Ende meiner Yogaeinheit) auch auf anderen Ebenen zum Entspannen und Ruhe finden einladen.
Im Yoga wie auch im Tanz geht es mir vor Allem darum, alles zu fühlen was mir begegnet. Und dieses Gefühl neugierig zu erforschen. Wie bewege ich mich, wenn ich traurig bin, übermütig oder ängstlich? Wie färbt sich meine innere Welt in Eka Pada Rajakapotasana, der Königstaube? Wie geht es mir und wie kann ich mit dem, was ich spüre umgehen?
Diese Erkenntnisse geben mir Selbstsicherheit. Eben weil ich mich selbst auf diesem Weg immer besser kennen lernen kann. Das finde ich ziemlich hilfreich für mein ganzes Leben mit Familie und Freunden, meine Interaktion mit netten und auch mit doofen Menschen, meinen Job und für einfach alle Lebenslagen.
Zum Weiterlesen:
Storch/Cantieni/Hüther/Tschacher: Embodiement
B.K.S. Iyengar: Licht fürs Leben
Moshe Feldenkrais: Bewußtheit durch Bewegung