Unterarmstand und sich selbst anschauen / Svadhyaya ·
Frühjahrsmüdigkeit? Irgendwann habe ich diesen Tick entwickelt, alle meine Befindlichkeiten auf das Wetter zu schieben oder in einen sonstigen Zusammenhang mit den Jahreszeiten zu bringen… Im Ayurveda z.B. wird diese frühlingsbedingte Trägheit durch die überschüssige Kaphaenergie erklärt. Ok, dann also Kapha reduzieren. Yoga hilft da natürlich! Wie eigentlich immer, egal zu welcher Jahreszeit.
In diesem Monat Kraft und Energie aufbauen und alles aus neuen Perspektiven betrachten.
In der Yogapraxis können wir Kraft besonders gut mit herausfordernden Asanas etablieren. Für eine Position, die uns wirklich herausfordert, brauchen wir genügend Kraft und Stabilität um sie halten zu können und nicht zu kollabieren. Und dann braucht es den inneren Perspektivwechsel von „zu wenig“ zu „genug“. Wenn wir nämlich kontinuierlich Kraft kreieren, kommt irgendwann auch der Moment, an dem sie für unser Vorhaben ausreichen wird. Trauen wir uns in diesem Moment über unsere bisherige Grenze zu springen, in den ungewissen Versuch hinein… ist es immer ein bisschen spannend, eben weil ungewiss.
Entweder es klappt sofort oder erst später. Vielleicht klappt es auch beim ersten Mal und dann fünf Wochen lang gar nicht mehr. Das ist es. Mehr nicht.
Wenn wir beharrlich auf diesem Weg bleiben, können wir darüber hinaus auch innerlich spannende Beobachtungen machen. Wie gehen wir mit Erfolg und Mißerfolg um? Mit unausreichender Kraft? Mit genügend Kraft? Mit den Schmetterlingen im Bauch beim Gelingen? Mit den Grenzen unserer Anatomie?
Meine Asana des Monats ist Pincha Mayurasana, der Unterarmstand, in Verbindung mit Svadhyaya, dem Selbststudium.
Im Unterarmstand schaffst du auch äußerlich schon gute Bedingungen für einen Perspektivwechsel: dein Zimmer auf den Kopf zu stellen, kannst du als Einladung sehen, auch deine innere Landschaft zu hinterfragen und etwas genauer zu beleuchten.
Sich selbst neugierig und offen anzuschauen und genau zu studieren kann natürlich auch anstrengendund, eventuell sogar stellenweise unangenehm werden. Wenn dabei z.B. plötzlich Wesenszüge sichtbar werden, die uns nicht so gut gefallen, wünschen wir uns manchmal vielleicht, wir hätten sie lieber gar nicht gesehen.
Dazu finde ich es hilfreich mir klar zu machen, dass diese Anteile meiner Selbst ja auch dann da sind, wenn ich nicht hinschaue. Nur dann können sie unbewusst auf mich wirken und haben dadurch einen viel größeren und sehr unkontrollierten Einfluss auf mich. Lieber hole ich möglichst viele meiner Leichen aus dem Keller und überlege dann in Ruhe, was ich mit ihnen machen will.
Pincha bedeutet Feder und Mayura ist der Pfau. Pincha Mayurasana ist also die Pfauenfeder-Position. Sie erinnert an einen Pfau, der seine Federn zu einem Fächer anhebt.
Svadhyaya ist das Selbststudium. Es ist das vierte Niyama des achtgliedrigen Pfades aus dem Yogasutra Patanjalis, einem der wichtigsten yogaphilosophischen Texte, auf deren Weisheiten sich auch heute noch unzählige Yogis aus der ganzen Welt beziehen. Die Niyamas sind Anregungen für eine Yogapraxis im alltäglichen Leben, also jenseits der Matte. Sie beziehen sich auf die Art unseres Umgangs mit uns selbst.
Svadhyaya, das Selbststudium, ist die Eigenreflexion, die Innenschau, das Beobachten seiner eigenen Denk-, Fühl- und Reaktionsmuster.
Damit wir besser verstehen und einordnen können was uns dabei begegnet und es in einen größeren, sinnvollen Zusammenhang bringen können, wird das Studieren wichtiger philosophischer Schriften empfohlen. Traditionell natürlich die alten indischen Texte wie die Yogasutren Patanjalis, die Upanishaden, Veden oder die Bhagavad Gita. Heute können wir das aber viel offener interpretieren, denke ich, und uns Input aus dem unendlichen Pool philosophischer, spiritueller, wissenschaftlicher oder religiöser Texte aus der ganzen Welt beschaffen.
Svadhyaya erinnert uns daran, uns selbst gegenüber neugierig und wissensdurstig zu bleiben, uns immer weiterzuentwickeln und -auszubilden, zu studieren, zu lesen und uns Lehrer*innen zu suchen.